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Persönliche Erklärung zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr

Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt

Die Entscheidung über Auslandseinsätze der Bundeswehr gehört zu den schwierigsten Entscheidungen, die Abgeordnete des Deutschen Bundestages zu treffen haben. Der Einsatz von Militär kann immer nur äußerstes Mittel zur Gewalteindämmung und Friedenssicherung sein. Militär kann bestenfalls ein Zeitfenster für Krisenbewältigung schaffen, nicht aber den Frieden selbst.

Beim bisher längsten Auslandseinsatz deutscher Soldat*innen in Afghanistan gab es jahrelang eine Dominanz militärischer Zielsetzungen gegenüber zivilen Lösungsansätzen und ein fehlendes entwicklungspolitisches Konzept. Schon seit langem war klar, dass die Strategie, vorrangig mit militärischen Mitteln eine Friedenslösung zu erzwingen, gescheitert ist. Nicht zuletzt die Capture-or-Kill-Operationen und die gezielten Tötungen durch Drohnenangriffe der USA forderten immer wieder zivile Opfer und haben das Vertrauen der afghanischen Bevölkerung in die internationale Präsenz untergraben. Eine politische Lösung wurde dadurch in den letzten Jahren enorm erschwert.

Die massiven und sprunghaften Veränderungen der Strategie der amerikanischen Streitkräfte unter der Trump-Administration haben die Lage massiv verschärft. Bereits am 21.08.2017 hat US-Präsident Donald Trump seine Afghanistan-Strategie in den Worten zusammengefasst: „We are not nation-building again. We are killing terrorists.“ In einem Zick-Zack-Kurs wurden erst die Kampftruppen und Angriffsaktionen massiv verstärkt, dann ein schneller genereller Abzug bis zum Mai 2021 in den Raum gestellt, der anschließend wieder relativiert wurde. Schließlich wurde zwischen den USA und den Taliban in einem offiziellen Abkommen der Abzug der US-Truppen bis zu 1. Mai 2021 vereinbart. Die NATO wurde jeweils vor scheinbar vollendete Tatsachen gestellt. Von einem partnerschaftlichen Entscheidungsprozess konnte und kann nicht die Rede sein. Dies hat sich auch mit der Abwahl der Trump-Administration noch nicht grundlegend geändert.

Die Bundesregierung geht in der Begründung zum heute vorliegenden Mandatstext davon aus, dass „die Voraussetzungen für einen vollständigen, verantwortungsvollen Abzug zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gegeben“ seien. Parallel dazu erklärt der neue US-Außenminister Blinken in einem Schreiben an den afghanischen Präsidenten, dass der vollständige Abzug  der US-Truppen zum 1.Mai dieses Jahres weiterhin möglich sei.

In Moskau haben die USA am 18. März 2021 gemeinsam mit Russland, China, Indien, Pakistan, Iran und der afghanischen Regierung mit Vertretern der Taliban über weitere Schritte zu einer politischen Lösung verhandelt. Die europäischen NATO-Mitglieder sind nicht dabei. Das Motto  „Gemeinsam rein – gemeinsam raus“ ist schon lange Makulatur.

Die Bundesregierung hat auf alle diese Entwicklungen konzeptlos und ratlos reagiert. Die faktisch unveränderte Fortschreibung des bestehenden Mandates ist ein zugespitzter Ausdruck dieser Konzeptlosigkeit. Die Bundesregierung ist nicht in der Lage, den Zweck dieses Einsatzes klar festzulegen. Die Ankündigung, im kommenden Jahr abzuziehen, bleibt ein konkretes Abzugsdatum schuldig. Die zu Beginn des Einsatzes gemeinsam mit den USA und der NATO gesteckten und bis vor kurzem ständig beteuerten politischen Ziele spielen heute defacto keine Rolle mehr. Das vorliegende Mandat zielt im Wesentlichen nur noch auf Zeitgewinn, um das Aufgeben der wichtigsten Ziele und das Scheitern von zwei Dekaden militärischer und politischer Anstrengungen noch etwas zu kaschieren. Dieses Mandat schafft auch keine Klarheit über die notwendige Organisation und den Zeitplan des Abzuges und schickt Soldat*innen der Bundeswehr ohne klare Zielsetzungen in einen sehr gefährlichen Einsatz. Einem solchen Mandat kann ich nicht zustimmen.

Die Bundesregierung muss nun bei allen relevanten Akteuren der in verschiedenen Formaten unkoordiniert ablaufenden Friedensverhandlungen aktiv darauf dringen, dass hinreichende Bedingungen für die dringend erforderliche Fortsetzung von humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit gesichert werden. Gerade nach möglichen Schritten hin zu einer politischen Befriedung muss alles getan werden, um die zivile Unterstützung der afghanischen Bevölkerung weiterzuführen.

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